Wir, die oder alle? Kollektive als Mittler einer komplexen Kulturwirklichkeit

8. Ausgabe von interculture journal, der online-Zeitschrift für Interkulturelle Studien.
Die Beiträge der vorliegenden Sonderausgabe widmen sich einem kulturellen Trägerkonzept, das in den vergangenen Jahren vor allem durch Klaus P. Hansen in seinem analytischen Potenzial erschlossen und ausdifferenziert wurde: Kollektivität. Jenseits der Ganzheit von Kultur bieten Kollektive Differenzierungsangebote, die der komplexen Kulturwirklichkeit variabel begegnen, sie in Abhängigkeit vom Erkenntnisinteresse unterschiedlich strukturieren und dabei ein breites Angebot an Beschreibungstermini einbringen können. Im Rahmen einer Tagung, die von der Forschungsstelle Grundlagen Kulturwissenschaft am 16.11.2007 unter dem Titel „Komplexe Ganzheit oder gänzliche Komplexität – die neuen Paradigmen der Kultur-wissenschaft“ in Passau durchgeführt wurde, griffen die Referenten und Autoren des Heftes diese Optionen in unterschiedlicher Weise auf:

Klaus P. Hansen widmet sich dem Kollektiv Nation. Er zeigt, dass nicht die oft unterstellte Homogenität diese zusammenhält, sondern vielmehr kollektive Mehrfachzugehörigkeiten oder „Polykollektivität“. Hansen veranschaulicht wie Interaktionsregeln und Institutionen den Kollektiven Kohäsion verleihen und wie sie in präkollektiven und pankollektiven Zusammenhängen funktionieren. Auf Grundlage dieser Prozesse können Nationen letztlich als Unikatskonglomerate analysiert werden.

Jörg Scheffer beschreibt kulturelle Kategorisierungen als Praxis der Grenzziehung. Da sich diese auf ein vorgegebenes Arsenal räumlich-semantischer Vorkategorisierungen bezieht, ist sie für eine Kulturwirklichkeit außerhalb dieser Einteilungen strukturell blind. Sein „selektives Kulturkonzept“ sieht stattdessen eine Verortung von Kollektiven vor, die interessenabhängig den aktuellen kulturellen Gegebenheiten Konturen verleihen. Kultur folgt dabei nicht mehr räumlichen Einteilungen sondern umgekehrt.

Stefanie Rathje setzt in ihrer Kritik am traditionellen Kulturkonzept und dessen Kohärenzpostulat den Kollektivbegriff ebenfalls als Differenzierungsmittel ein: In der Unterscheidung von Kollektiv und Kultur einerseits und Individualität und Pluralität andererseits, entwickelt sie eine Vier-Felder-Matrix, mit der sich sowohl das Kohärenz-Paradigma überwinden, als auch eine präzise Beschreibung der kulturellen Gegebenheiten vornehmen lässt. Letzteres macht sie anhand konkreter Praxisbeispiele und aktueller Anwendungsbezüge deutlich

Mario Schulz analysiert schließlich die Komplexität des Kollektivs der deutsch-tschechischen und deutsch-slowakischen Historikerkommission. Um die Arbeits- und Wirkungsweise dieses transnationalen Akteurs mit Hilfe qualitativer Experteninterviews herauszuarbeiten, greift er auf Hansens Konzept der Multikollektivität zurück. Überzeugend wird belegt, dass eine zunächst methodisch notwenige Komplexitätserhöhung dazu dienen kann, kulturelle Komplexität in einem zweiten Schritt Verständnis fördernd zu senken. Die Perspektive Kollektivität erweist sich dabei erneut als viel versprechender Mittler einer komplexen Kulturwirklichkeit.
PDF-Format
http://www.interculture-journal.com/download/issues/2009_08.pdf

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